Kämpfen Stromkonzerne mit Energiewende?

Die Energieversorgung befindet sich in einem fundamentalen Umbruch: Der Energiebedarf entkoppelt sich immer stärker vom Wirtschaftswachstum, der technologische Fortschritt ermöglicht eine immer effizientere Gewinnung der Rohstoffe, und Klimaschutzbemühungen steigern den Anteil erneuerbarer Energien. Sollen Klimaschutzziele erreicht werden, müssen fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas langfristig im Zuge der «Energiewende» praktisch komplett durch erneuerbare Energien ersetzt werden.

Energiewende versus Stromwende
Mit dem Begriff der Energiewende assoziieren die meisten nur das Stromsystem: Ausbau der erneuerbaren Energien wie Solar- und Windstrom, Förderung der Wasserkraft, Abschaltung der Kernenergie. Doch hinter der Energiewende steckt viel mehr als nur der Umbau des Stromsystems. Energie ist mehr als Strom. Ein Blick auf den Endenergieverbrauch der Schweiz zeigt, dass Strom heute lediglich ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs ausmacht. Für die Wärmebereitstellung und für unsere Mobilität verwenden wir viel mehr Energie. Zwei Bereiche, die heute noch grösstenteils durch Erdölprodukte bedient werden. Die Energiewende ist folglich viel mehr als der Umbau des Stromsystems. Trotzdem drehen sich die meisten Diskussionen nur rund um das Stromsystem. Das hängt damit zusammen, dass sich die Umbrüche in der Energieversorgung am Beispiel des Stromsystems scheinbar unmittelbar und in voller Härte schon heute bemerkbar machen.

Sündenbock «Erneuerbare»
Die wirtschaftlich angeschlagenen Stromkonzerne Axpo und Alpiq fordern finanzielle Unterstützung vom Bund. Selbst das neuste Pumpspeicherkraftwerk Linth-Limmern ist unter den aktuellen Bedingungen am Strommarkt nicht rentabel zu betreiben. Und auch in Deutschland haben die Energiekonzerne erneut einen schwachen Start ins neue Jahr verkündet, nachdem bereits 2016 Rekordverluste erzielt worden sind. Es steht ausser Zweifel, dass die Umbrüche im Stromsystem die Schlagzeilen dominieren. So geschieht es, dass selbst die sonst so differenzierte und hintergrundstarke NZZ die Energiewende auf das Stromsystem reduziert, wenn sie titelt: «E.On und EnBW kämpfen mit Energiewende», «Die Entzauberung der Energiewende», «Das falsche Vorbild Deutschland» oder «Das Grauen der deutschen ‹Energiewende›». Berichtet wird über den Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne, die steigenden Stromkosten für Haushalte und über konventionelle Kraftwerke, die immer weniger Geld verdienen. Diese konventionellen Kraftwerke wie Kohle-, Gas-, Kern- oder Wasserkraftwerke verdienen immer weniger Geld, weil der Börsenstrompreis in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Allein in der Periode von 2011 bis 2015 sank der Strompreis an der deutschen Börse von über 51 auf nur noch knapp 32 Euro pro Megawattstunde.
Die Ursache für den Strompreiszerfall von rund 38 Prozent und die daraus entstandene Misere der grossen Stromkonzerne in Deutschland und der Schweiz ist scheinbar schnell gefunden. So wird immer wieder der starke Ausbau der erneuerbaren Energie sowie die «exorbitante» Förderung der Erneuerbaren vor allem in Deutschland und der Schweiz ins Feld geführt und von Wettbewerbsverzerrung gesprochen. Eine Mitte April 2017 in «Energy Policy» neu veröffentlichte Studie* widerlegt diese weitverbreitete These nun eindrücklich. In ihrer Studie fragten sich die deutschen Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie, wer für den Preiszerfall an den europäischen Strombörsen zu beschuldigen ist. Es zeigte sich, dass, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, der Einfluss der CO2- und Kohlepreise auf den Börsenstrompreis in den letzten fünf Jahren doppelt so gross war wie jener des Ausbaus von Wind- und Solarenergie.

Preise der Zertifikate sanken
Die Preise für CO2-Emissionszertifikate und Kohle sind in den letzten Jahren unter anderem aufgrund fehlender verbindlicher Klimaschutzziele und allgemein tiefer Rohstoffpreise kontinuierlich gesunken. Diese Minderkosten widerspiegeln sich eins zu eins in den Gebotspreisen der Kraftwerke an der europäischen Strombörse und senken dadurch den mittleren Marktpreis für Strom. Im Jahr 2014 senkte dieser Effekt den Strompreis um insgesamt rund 11 Euro pro Megawattstunde, während der Effekt die Einspeisung von Wind- und Solarstrom den Strompreis nur noch um weitere 2 Euro absacken liess. Die Ausweitung der Stromexporte aus Deutschland sowie die Reduktion der konventionellen Kraftwerkskapazitäten (z. B. Kernkraftwerke) haben den Preis hingegen gestützt.
Die Studie zeigt deutlich auf, dass der europäische Strommarkt im Umbruch ist. Es ist ein Beispiel für den langfristigen Umbau unserer Energieversorgung. Silvan Rosser

*A. Bublitz et al. 2017: An analysis oft the decline of electricity spot prices in Europe: Who is to blame? – Energy Policy 107 (2017), Seiten 323–336.

Wetter, Klimawandel und Energiewende in Zürich: www.meteozurich.ch.

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